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Demographischer Wandel und Daseinsvorsorge - Auswirkungen kommunaler Angebote auf die Wohnortwahl
(2011)
Mit dem demographischen Wandel ist innerhalb der nächsten Jahrzehnte ein zunehmender Rückgang der Bevölkerungszahl bei gleichzeitigem Ansteigen des Durchschnittsalters der Gesamtbevölkerung verbunden. Insbesondere der Rückgang der Bevölkerungszahl wird sich v.a. aufgrund von Migrationsbewegungen regional mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität vollziehen. Bei einer sich wandelnden Bevölkerungsstruktur und einem ansteigenden Durchschnittsalter verändern sich auch die Anforderungen an die infrastrukturelle Ausstattung. Dies liegt auf der Hand: So benötigt eine alternde Bevölkerung mehr seniorengerechte Einrichtungen, dafür aber weniger Kindergärten und Schulen. Gleichzeitig bedeutet der Rückgang der Bevölkerungszahl eine niedrigere Auslastung und damit eine geringere Tragfähigkeit jeglicher Infrastrukturen. Kostensteigerungen sind zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit damit nahezu unumgänglich. Es wird infolgedessen zukünftig verstärkt zu einem Wettbewerb der Kommunen um Einwohner (= Infrastrukturnutzer) kommen. Dabei dürften Familien mit Kindern eine besondere Schlüsselposition einnehmen. Häufig wird – insbesondere aus kommunalpolitischer Sicht – befürchtet, dass gerade diese Bevölkerungsgruppen nicht mehr zuziehen und sogar fortziehen würden, sobald Kindergärten und Schulen aufgrund sinkender Auslastungszahlen geschlossen werden müssen.
Vor diesem Hintergrund klärt die vorliegende Arbeit die Frage, ob örtlich betrachtet ein Zusammenhang zwischen der Breite und Qualität der vorgehaltenen Leistungen öffentlicher Daseinsvorsorge einerseits und der Migrationsbilanz andererseits besteht. In der Arbeit wird darüber hinaus analysiert, inwiefern sich Zuziehende bereits zum Zeitpunkt des Zuzugs mit der heutigen Infrastrukturausstattung ihres Wohnorts auseinandersetzen und ob die Zukunftsfähigkeit der gegenwärtig vorhandenen Daseinsvorsorgeangebote bei der Wohnortwahl vor dem Hintergrund der demographischen Situation eine zentrale Rolle bei dieser Entscheidung spielt.
Als Untersuchungsraum wurde die Region Westmittelfranken in Bayern gewählt. Einerseits wird für Westmittelfranken in den Bevölkerungsprognosen eine quantitativ rückläufige Entwicklung prognostiziert (Geburtendefizit wird durch Zuwanderung nicht ausgeglichen) und andererseits kann hier aufgrund der bayernweit niedrigsten Bevölkerungsdichte die öffentliche Hand bei der Bereitstellung von zentral vorgehaltener Punktinfrastruktur aus Erreichbarkeitserwägungen heraus weit weniger flexibel auf Verschiebungen in der Altersstruktur reagieren als sie dazu in einem Ballungsraum in der Lage wäre. Mittels der Auswertung einer empirischen Befragung Zugezogener ist eine Aussage darüber möglich, inwiefern Aspekte der demographischen Struktur und Entwicklung in der Zuzugsgemeinde, der Ausstattung mit Einrichtungen der Daseinsvorsorge sowie deren Zukunftsfähigkeit eine Basis für die individuelle Entscheidung zum Zuzug boten und inwiefern bei potenziellen Schließungen von Infrastruktureinrichtungen tatsächlich der befürchtete »Exodus« in Form von Fortzügen droht.
Abschließend sind die gewonnenen Erkenntnisse zur Formulierung von Handlungsempfehlungen für die Raumordnung, Regional- und Kommunalentwicklung auf Landes-, Regions- und kommunaler Ebene herangezogen.
Der Bevölkerungsrückgang in ländlichen Städten und Dörfern stellt die Gemeinden vor erhebliche Herausforderungen im Bereich der Daseinsvorsorge. So ist die Funktionalität leitungsgebundener Infrastrukturen der Abwasserentsorgung im Zuge einer starken, dispersen demographischen Entdichtung der Siedlungen nur mit betrieblichem Mehraufwand bis hin zu baulichen Systemanpassungen zu gewährleisten. Aktuelle Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel, wie längere Trockenperioden und immer häufiger und stärker auftretende Niederschlagsereignisse, ein gesteigertes Problembewusstsein zur Endlichkeit kostbarer Ressourcen, wie z.B. Wasser oder Phosphor sowie aktuelle energiepolitische Fragestellungen stellen die zentralisierte Systemkonzeption der kommunalen Abwasserentsorgung in dispersen Siedlungsstrukturen zusätzlich zur Disposition.
Die Bereitstellung, Konzeption, Finanzierung und der Betrieb kommunaler Infrastrukturen ist abhängig von den Bedarfsträgern. Im Zuge weitreichender, dynamischer und motivorientierter Migrationsbewegungen sind gerade ländliche Raumstrukturen von starker Abwanderung, insbesondere jüngerer Kohorten und zusätzlich von Überalterung und hohen Sterbeziffern betroffen. In Abhängigkeit der raumstrukturellen Beschaffenheit einzelner Städte und Dörfer und deren Lage im überörtlichen Sinne, können die Nutzungsmischung, Größe der Siedlungen und ebenso die altersstrukturelle Zusammensetzung der Einwohner sowie die Bevölkerungsdichte erheblich schwanken. Aus der Komposition von Bevölkerung, Raumfunktionen und Infrastrukturen ergeben sich ebenso unterschiedliche demographische Entwicklungsperspektiven, die im Rahmen dieser Arbeit szenariobasiert analysiert werden.
Die auf der de facto-Bevölkerung der ländlichen Modellstädte und -dörfer aufbauenden Demographieszenarien bilden die Basis der weiterführenden Untersuchung der kleinräumigen Auswirkungen auf deren Abwasserentsorgungssysteme. Der Untersuchungsansatz stützt sich auf eine umfassende Daten- und Analysebasis aus dem BMBF-Verbundprojekt SinOptiKom (2016). Die Synthese aus der de facto-Bevölkerung, ihrer Entwicklung durch kohortenspezifisches Migrationsverhalten, ihrer natürlichen Entwicklung sowie der SinOptiKom-Analyseergebnisse, zur Transformation der Abwasserentsorgungssysteme in den Modellgemeinden, bilden die Grundlage für die Ableitung und Diskussion möglicher Transformations- und Konsolidierungsstrategien der Gemeinden.
Den methodischen Schwerpunkt der Untersuchung bildet die szenariobasierte Analyse, mit der sich mögliche zukünftige Entwicklungen im betrachteten Themenfeld sowohl quantitativ als auch graphisch abbilden und durch relevante Akteure der örtlichen, überörtlichen und fachlichen Planung diskutieren lassen, um daraus Handlungsstrategien abzuleiten.