Beitrag zur Charakterisierung und Auslegung zugbelasteter Energieabsorberkonzepte mittels experimenteller, analytischer und numerischer Methoden
- Bedingt durch den Zusammenstoß zweier Objekte im Crashlastfall existieren im Bereich
des Güter- und Personentransports eine Vielzahl an Konzepten und Mechanismen
für einen kontrollierten Abbau der kinetischen Impactenergie unter äußerer
Druckbelastung. Im Gegensatz dazu ist der Wissensstand für eine Energieabsorption
unter äußerer Zugbelastung vergleichsweise gering. Für den Anwendungsfall in einer
modernen Flugzeugrumpfstruktur aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK),
deren Crashkinematik eine Integration von zugbelasteten Energieabsorberelementen
ermöglicht, liefert diese Arbeit sowohl eine Entscheidungsgrundlage für eine Vorauswahl
durch einen methodischen Vergleich zugbelasteter Absorberkonzepte als
auch Methoden für eine Vorauslegung entsprechender Absorberelemente.
Im Rahmen dieser Arbeit wird eine Vielzahl möglicher, zugbelasteter Energieabsorberkonzepte
erarbeitet und detailliert untersucht. Die Bewertung der Absorberkonzepte
unter den Gesichtspunkten Leichtbaupotenzial (Gewicht, Integrationsmöglichkeiten),
Robustheit und Funktionsweise erfolgt anhand charakteristischer Absorberkennwerte,
wie gewichtsspezifische Energieabsorption, effektive Geometrie- und
Lastausnutzung, Lastschwankung sowie Einfluss von Temperatur und Lastrate auf das Energieabsorptionsvermögen. Dabei lassen sich die Absorberkonzepte in die
Kategorien Materialien und Strukturen unter globaler Zugbelastung unterteilen.
Auf Materialebene, welche die unterste Betrachtungsebene für eine Energieabsorption
unter Zugbelastung darstellt, wird das Energieabsorptionsvermögen typischer
Leichtbauwerkstoffe unter Zugbelastung bestimmt. Der zugrunde liegende Energieabsorptionsmechanismus
der plastischen Deformation von Materialien bietet aufgrund
der vergleichsweise einfachen konstruktiven Lösung ein hohes Leichtbaupotenzial.
Hauptnachteil ist jedoch die fehlende Einstellbarkeit sowie die direkte Abhängigkeit
der Absorbercharakteristik vom mechanischen Verhalten der betrachteten
Werkstoffklasse, was sich, bedingt durch die Bruchdehnung, bei gegebenem Bauraum
in der Beschränkung der maximalen Absorptionslänge widerspiegelt.
Die Strukturebene bildet eine weitere Betrachtungsebene für eine Energieabsorption
unter Zugbelastung. Hier werden Absorberelemente unter globaler Zugbelastung
sowie unter lokaler Druckbelastung, die über eine entsprechende Lastumleitung in
eine globale Zugbelastung überführt werden kann, untersucht. Letztere bieten jedoch
nur für den Fall einer Integration in vorhandene Strukturen ein ausreichend hohes Leichtbaupotenzial, um mit Materialien oder rein zugbelasteten Absorberelementen
zu konkurrieren. Im Vergleich zu einfachen Materialien unter Zugbelastung zeichnen
sich Absorberelemente auf Strukturebene durch eine generelle Einstellbarkeit der
Absorbercharakteristik sowie eine höhere Flexibilität in der Auslegung aus.
Den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet die Untersuchung eines Energieabsorberkonzepts
basierend auf dem progressiven Lochleibungsversagen von Faser-Kunststoff-
Verbunden (FKV), das sich nicht nur durch eine hohe gewichtsspezifische Energieabsorption,
sondern auch durch eine annähernd ideale Absorbercharakteristik sowie
eine potenzielle Integration in eine Nietverbindung der betrachteten Flugzeugrumpfstruktur
aus CFK auszeichnet. Vor dem Hintergrund der Vorauslegung dieses Absorberelements
werden der Einfluss des Faser- und Matrixmaterials, der Faserorientierung
und -architektur, der Lastrate (200 mm/min bis 3 m/s) und Temperatur
(-20 °C bis 60 °C) sowie geometrischer Parameter wi e Plattendicke und Bolzendurchmesser
in einer experimentellen Studie analysiert. Für spröde FKV stellt sich
ein kontrolliert ablaufendes progressives Versagen als Kombination aus Transversalschub
und Laminatbiegung ein. Die Bildung eines Fragmentkeils vor dem Bolzen begünstigt
zudem den Anteil der Reibung an der Gesamtenergieabsorption.
Auf Basis der experimentellen Daten wird ein analytischer Ansatz zur Vorhersage der
sich einstellenden mittleren Deformationskraft entwickelt. Dieser vereinfachte, energetische
Ansatz ermöglicht unter Verwendung materieller (Biegefestigkeit, Reibungseigenschaften,
intra- und interlaminare Bruchenergie) sowie geometrischer
(Fragmentkeil) Parameter den linearen Zusammenhang zwischen mittlerer Deformationskraft
und Bolzendurchmesser bzw. den nichtlinearen Zusammenhang zwischen
mittlerer Deformationskraft und Plattendicke abzubilden.
Die generelle Eignung numerischer Berechnungsmethoden für eine Vorhersage des
progressiven Lochleibungsversagens wird für eine industrielle Anwendung mittels
geeigneter Modellierungsansätze in der kommerziellen, expliziten Berechnungssoftware
Abaqus/Explicit untersucht. Dies geschieht auf Basis von konventionellen intraund
interlaminaren Materialmodellen für gewebeverstärkte FKV. Mit den gezeigten
Modellansätzen lässt sich das generelle Deformationsverhalten des FKV abbilden.
Aufgrund der starken Vereinfachung der in der Schädigungszone vor dem Bolzen
ablaufenden Mechanismen sowie der unrealistisch frühen interlaminaren Schädigung
lassen sich die nichtlinearen Zusammenhänge zwischen mittlerer Deformationskraft
und Plattendicke jedoch nur bedingt abbilden.