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Faculty / Organisational entity
Eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit ist der Klimaschutz und damit
einhergehend die Reduktion des durch den Menschen verursachten CO2-Ausstoßes,
an dem auch das Bauwesen zu einem maßgeblichen Anteil beiträgt.
Häufig werden bestehende Tragstrukturen aus Kostengründen abgebrochen und
durch Neubauten ersetzen. Hinzu kommt, dass Bestandsbauwerke nicht immer nach
den aktuell gültigen Regelwerken nachgewiesen werden können. Im Sinne der
Ressourcenschonung sowie dem kulturellen Erhalt bestehender Strukturen sollte dem
Erhalt, der Instandsetzung und der Umnutzung von Bestandstragwerken Vorrang vor
dem Abriss mit anschließendem Neubau gegeben werden.
Als Grundlage für die Nachrechnung von Bestandsbauwerken sind die Kenntnisse
über die Abmessungen und Geometrien der Bauteile sowie die Materialkennwerte
erforderlich. Diese können mit Hilfe von Bestandsunterlagen oder durch Untersuchung
des Bestandsbauwerks bestimmt werden. Für Stahlbetontragwerke sind
dementsprechend die Materialkennwerte des Betons und des Betonstahls zu ermitteln.
Basierend auf dem aktuellen Sicherheitskonzepts sind nicht die Mittelwerte, sondern
jeweils die charakteristischen Materialkennwerte (≙ 5 %-Quantil) zu berechnen. Die
Ermittlung der charakteristischen In-situ-Betondruckfestigkeit basiert in der Regel auf
den Ergebnissen der direkten Prüfmethode oder auf einer Kombination der Ergebnisse
aus direkter und indirekter Prüfmethode. Die charakteristische In-situ-Betondruckfestigkeit ist dabei möglichst wirklichkeitsnah zu ermitteln, während
gleichzeitig das Tragwerk so wenig wie möglich geschädigt werden soll. Statistisch
belastbare Auswerteverfahren sind aufgrund einer geringen Datenbasis somit ebenso
essenziell, wie eine fachgerechte Untersuchung des Bestandstragwerks und die
zugehörige Entnahme mit normativ korrekter Vorbereitung und Prüfung der Bohrkerne.
Die im Februar 2020 veröffentlichte DIN EN 13791:2020-02 löst formal die
Normfassung DIN EN 13791:2008-05 ab. Mit Einführung dieser Norm sind jedoch
noch keine neuen Nationalen Anwendungsregeln für Deutschland vorhanden (analog
zu DIN EN 13791/A20:2017-02). Besonders für geringe Stichprobenumfänge
(3 ≤ n ≤ 7), aber auch für große Stichprobenumfänge (n ≥ 8) ergeben sich in
DIN EN 13791:2020-02, im Vergleich zu den bisherigen Regelungen, deutliche
Änderungen bei der Bestimmung der charakteristischen In-situ-Betondruckfestigkeit
für Bestandstragwerke. Allerdings fehlen hierzu aktuell Hintergrundinformationen
bezüglich deren statistischer Belastbarkeit.
Mit Blick auf die Altersstruktur der Bauwerke, der damals üblichen und der heute nach
Eurocode 2 (DIN EN 1992-1-1:2011-01) gültigen Betonfestigkeiten ergeben sich
Diskrepanzen, sodass zu überprüfen ist, ob die Nachweisformate nach Eurocode 2
auch für geringere Festigkeitsklassen angewendet werden dürfen.
Im Zuge des Normgebungsverfahren wurden Teile, der im Rahmen dieser Arbeit
vorgestellten Ergebnisse und Erkenntnisse bei der Erstellung des neuen Nationalen
Anhangs DIN EN 13791/A20:2022-04 berücksichtigt.
Die Bewertung bestehender Bauteile unterscheidet sich grundsätzlich von der Bemessung neu zu erstellender Bauteile, da im Gegensatz zur Neubausituation bemessungsrelevante Parameter am Bestandstragwerk ermittelt werden können. Trotzdem müssen baustatische Nachweise in beiden Fällen auf Basis der aktuellen technischen Baubestimmungen geführt werden, deren Sicherheits- und Nachweiskonzept zur Erstellung von Neubauten konzipiert wurde und berücksichtigt, dass die tatsächlichen Bauteilkennwerte zum Zeitpunkt der Bemessung mit Unsicherheiten behaftet sind.
Bestehende Tragwerke können und müssen in vielen Fällen die darin enthaltenen Anforderungen nicht erfüllen, da im Vergleich zur Neubausituation eine Vielzahl von Tragwerksinformationen vorliegen, die eine Absenkung der im Zuverlässigkeitskonzept enthaltenen Unsicherheitsfaktoren begründen.
Aus diesem Grund wird innerhalb der vorliegenden Arbeit ein zur Bewertung bestehender Wasserbauwerke angepasstes, semiprobabilistisches Nachweiskonzept erarbeitet, das auf den wahrscheinlichkeitstheoretischen Festlegungen des Eurocode beruht. Im Vergleich zum aktuellen Nachweiskonzept zeichnet es sich durch die Berücksichtigung von im Rahmen einer qualifizierten Bestandsaufnahme am Tragwerk festgestellten Bauteilkennwerten und Einwirkungen sowie angepassten Zuverlässigkeitselementen aus.
Innerhalb einer probabilistischen Querschnittsanalyse werden weiterhin die zur Zuverlässigkeitsbewertung bestehender Wasserbauwerke aus Beton maßgebenden Basisvariablen identifiziert und es wird nachgewiesen, dass auch die Zuverlässigkeitselemente des modifizierten Nachweiskonzeptes dem Format nach den wahrscheinlichkeitstheoretischen Festlegungen des Eurocodes entsprechen.
Darüber hinaus wird gezeigt, dass die Konstruktionsweise zur Errichtung von unbewehrten Gewichtsstützwänden alter Schleusen zu einem Zuverlässigkeitsniveau führt, wie es aktuell auch innerhalb des Eurocodes gefordert wird.
Zum Nachweis der Tragfähigkeit bestehender Tragwerke benötigt der Tragwerksplaner charakteristische Werkstoffeigenschaften der verwendeten Baustoffe. Diese Werte können meist nicht direkt und ohne weitere Überlegungen aus älteren Normen, Richtlinien, Zulassungen oder von geprüften Bestandsunterlagen übernommen werden. Da die Neuberechnung grundsätzlich immer nach aktuellem Normenwerk zu erfolgen hat, sind die Werkstoffkennwerte gemäß der seinerzeits gültigen Normfestlegungen an die aktuellen Bezugswerte anzupassen.
Auf der Grundlage einer umfangreichen Literaturrecherche sind für die Baustoffe Beton und Betonstahl charakteristische Kenngrößen der maßgeblichen mechanischen Werkstoffeigenschaften in der vorliegenden Arbeit bestimmt worden. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt anhand von Tabellen, welchen die charakteristischen Kennwerte für die Werkstoffgüten einzelner Zeitperioden entnommen werden können.
In Fällen, in denen keine oder nur unzureichende Informationen über ein zu bewertendes Bauwerk vorliegen, sind die charakteristischen Werkstoffkennwerte anhand von Bauwerksuntersuchungen zu bestimmen.
In der vorliegenden Arbeit werden Konzepte beschrieben, welche die zu beachtenden Besonderheiten bei der Bestimmung der charakteristischen Werkstoffeigenschaften von Beton und Betonstahl anhand von Prüfergebnissen aus Bauwerksuntersuchungen berücksichtigen. Diese Konzepte enthalten unter anderem Empfehlungen für die Festlegung von Prüfbereichen und Stichprobenumfängen sowie Hinweise für die Probenentnahme von Betonbohrkernen und Stahlbetonstäben.
Alle derzeit in Deutschland gültigen Bemessungsnormen sind für Neubauten oder neu anzufertigende Bauteile konzipiert. Diese Normen unterliegen dem semi-probabilistischen Sicherheitskonzept, das mithilfe von Teilsicherheitsbeiwerten und charakteristischen Werten der Materialien bzw. Einwirkungen die in DIN 1055-100 (2001) geforderte Zuverlässigkeit sicherstellen soll. Die Nachbemes-sung von Stahlbetonbauteilen im Bestand, die beispielweise eine direkte Lasterhöhung infolge einer Nutzungsänderung erfahren, hat grundsätzlich nach aktueller DIN 1045-1 (2008) zu erfolgen. Die direkte Anwendung der Nachweisfor-mate der DIN 1045-1 ist aber in vielen Fällen nicht zielführend, da alle Unsicherheiten der Planungs- und Errichtungsphase durch die Teilsicher-heitsbeiwerte mit abgedeckt werden. Im Bestand können die Unsicherheiten z. B. der Geometrie, der Materialkennwerte sowie Lage und Menge der vorhandenen Bewehrung oder der ständigen Einwirkungen infolge einer qualifizierten Bestandsaufnahme eingeschränkt werden. Die Tatsache, dass die oben genannten streuenden Größen genauer quantifiziert werden können, erlaubt eine Anpassung der Teilsicherheitsbeiwerte an die am Bauwerk vorherrschenden Streuungen der Festigkeitswerte und geometrischen Größen. Ziel dieser Arbeit ist die Ausweisung modifizierter Teilsicherheitsbeiwerte unter Beachtung des geforderten Zielzuverlässigkeitsniveaus für im Bestand übliche Nachweisformate. Die tabelliert ausgewiesenen Teilsicherheitsbeiwerte auf Widerstandsseite ermöglichen je nach angetroffener Materialstreuung eine praxisgerechte, wirtschaftliche und erfolgreiche Nachweisführung von Bestandsbauten bei Anwendung des semiprobabilistischen Teilsicherheitskonzeptes.